Aktive vs. passive Lautsprecher – eine Annäherung (Gastbeitrag)
Juni 2021
Von Norbert, Administrator PIEGA-Forum
Seit 1965 die Firma Sennheiser den ersten aktiven HiFi-Lautsprecher vorstellte, wird über Vor- und Nachteile dieser Bauform diskutiert. Allen aktiven Lautsprechern gemeinsam ist, dass der Verstärker IN den Lautsprecher verlegt wird. Doch wie genau setzen sich all diese Vor- und Nachteile denn nun wirklich zusammen? In der nachfolgenden Betrachtung wage ich einen Annäherungsversuch, lasse aber akkubetriebene Mini-Systeme aussen vor und beschränke mich auf die hochwertige Musikwiedergabe.
Kurioserweise änderten sich einige Pro-/Contra-Argumente im Laufe der Jahrzehnte immer wieder, zumal bei den passiven als auch bei den aktiven Lautsprechern insbesondere im Bereich der Lautsprecher-Entwicklung immer bessere Konstruktions-Hilfsmittel zur Verfügung standen. Gleichzeitig wuchsen die Erkenntnisse im komplizierten Zusammenspiel zwischen den einzelnen Lautsprecher-Chassis und den Gesetzmässigkeiten der Gehäusekonstruktion. So ist es mit Hilfe moderner CAD-Systeme möglich, auch passive Lautsprecher zu entwickeln, die einen sehr linearen Amplitudengang aufweisen und auch sonst tadellose Messwerte anzeigen.
Zielkonflikt: Kleines Gehäuse mit kräftigem Bass
Im Bassbereich gibt es für den Konstrukteur oftmals einen klassischen Zielkonflikt. Der Kundenwunsch tendiert in Richtung kleines Gehäuse, tiefer Bass und laut. Die physikalischen Gesetzmässigkeiten sprechen aber dagegen. „Tief und laut“ bedeutet, dass durch das Tieftonchassis sehr viel Luft bewegt werden muss. Erreicht wird dies durch Membranhub und/oder Membranfläche. Gleichzeitig müssen das Tiefton-Chassis und das Lautsprechergehäuse aufeinander abgestimmt sein. Hier gilt leider, dass ein tiefer und lauter Bass nur durch ein grosses Gehäuse erzielt werden kann. Die Aktivtechnologie kann hier helfen, diese Grenzen zu verschieben, so dass aus verhältnismässig kleinen Boxen ein tiefer Bass kommt. Wie das geht?
Digitale Sound Prozessoren – kompakte Aktiv-Lautsprecher richtig gross klingen lassen
Das Zaubermittel um kompakte Aktiv-Lautsprecher ganz gross klingen zu lassen heisst DSP (Digitaler Sound Prozessor). Mit Hilfe dieser cleveren Elektronik können die Zusammenhänge zwischen Gehäusevolumen, den Eigenschaften des Tiefton-Chassis und des Abhörpegels so gesteuert werden, dass in den meisten Anwendungsfällen ein tieferer Bass bei verhältnismässig hohem Pegel möglich wird. Und diese Steuerung erfolgt im laufenden Betrieb. Der DSP passt sich permanent der Leistungsanforderung an und kann die Balance zwischen „tief und laut“ so regeln, dass aus der vorgegebenen Abhängigkeit zwischen Tiefton-Chassis und Gehäusevolumen immer das Optimum herausgeholt wird. Gleichzeitig beinhaltet der DSP eine Schutzfunktion, um bei hohem Pegel den Lautsprecher vor Beschädigungen zu schützen.
Diese Steuerung ist mit der passiven Lautsprechertechnik nicht möglich. Der Konstrukteur kann gewisse Präferenzen in die Abstimmung einer passiven Box legen. So z.B.: „lieber einen tiefen Bass, dafür etwas weniger Maximalpegel“. Aber das ist wird vorab festgelegt und kann im laufenden Betrieb nicht mehr angepasst werden.
„Tief und laut“ bei grossen Aktiv-Lautsprechern ist einfacher umzusetzen
Prinzipiell funktioniert die Betrachtung auch bei grossen Lautsprechern, ohne dass wir jetzt auf die Definition grosser/kleiner Lautsprecher eingehen wollen. Aber grosse Lautsprecher haben im Bassbereich günstigere Arbeitsbedingungen als ein kleiner Kompaktlautsprecher. Bei grossen Lautsprechern ist die Zielvorgabe „tief und laut“ wesentlich einfacher umsetzbar. Allerdings ist zu beachten, dass es in der Praxis kaum noch Vorteile bringt, ob ein grosser Lautsprecher bis 25 Hz oder bis 20 Hz arbeitet. Ganz im Gegenteil, unter Umständen fangen wir uns nur neue Probleme im Zusammenspiel zwischen Lautsprecher und Raum ein. Daher kann ein grosser Lautsprecher nicht mehr ganz so kräftig wie sein kleiner Artgenosse durch die Aktiv-Technik im Bass profitieren.
Die Möglichkeiten des DSP dürfen aber nicht dazu verleiten, dass der Konstrukteur bei der Entwicklung nachlässig sein darf. Es ist immer besser, Fehler von Anfang an zu vermeiden, als später korrigieren zu müssen. Manche Mängel in der Basis lassen sich auch gar nicht kompensieren. So ist z. B. ein vibrierendes Lautsprechergehäuse weder bei einer passiven, noch bei einer aktiven Box erstrebenswert. Die dabei entstehenden Fehler lassen sich auch nicht wegregeln.
Absolut zwingend wird die aktive Technologie, wenn der Lautsprecher per Funk das Datensignal entgegennehmen soll. Die Kombination aus Smartphone und kabelloser Signalübertragung mit einer modernen und kompakten Verstärkerelektronik im Lautsprecher kann eine sehr hochwertige Musikwiedergabe ermöglichen.
FAZIT: Mit Hilfe des DSP kann bei aktiven Lautsprechern das Korsett der Abhängigkeit zu den Gesetzmässigkeiten etwas gelockert werden.
Warum viele Vorurteile veraltet sind
Ein Argument gegen die aktive Technologie lag früher in der Skepsis zur mechanischen Belastung der Elektronik und somit zu deren Haltbarkeit und Zuverlässigkeit. In der Tat war es früher so, dass die Elektronik in aktiven Lautsprechern wegen der heftigen Vibrationen im Innern einer Lausprecherbox häufig zu Ausfällen neigte. Doch dieses Argument ist nicht mehr haltbar. Moderne Elektronik kann heute so stabil und unempfindlich aufgebaut werden, dass ein störungsfreier Betrieb über Jahre hinweg möglich ist. Denken wir hier an modernste Steuerungstechnik in Fahrzeugen, Flugzeugen bis hin zur Weltraumfahrt. Dabei sind die Anforderungen in diesen Bereichen der Technik an die mechanische Stabilität um ein Vielfaches höher, als in einer Lautsprecherbox. Auch die Praxis zeigt, dass die Elektronik der aktiven Lautsprecher in der heutigen Zeit nicht häufiger kaputt geht als „normale“ Verstärker.
Ist ein aktiver Lautsprecher für dich der Richtige? Wäge deine Bedürfnisse ab!
Aktive Lautsprecher sind teurer als ihre gleichgroßen passiven Verwandten. Die Erklärung ist einfach: Es ist viel Technik verbaut und die Entwicklung kostet eine Menge Zeit und Geld. Auf der anderen Seite können grosse Verstärker und vielleicht sogar Zuspielgeräte wie CD-Player entfallen. Somit ist ein Preisvergleich zwischen den beiden Welten eher schwierig.
Ein grosser Vorteil der aktiven Technik liegt darin, die Grenzen der Lautsprecher-Physik etwas zu verschieben – insbesondere im Bassbereich. Der immer häufiger aufkommende Kundenwunsch nach „kleinem“ Lautsprecher mit „tiefem“ Klang lässt sich nur mit der Aktivtechnologie umsetzen.
Daneben sind integrierte Schnittstellen zur modernen Medienanbindung (Netzwerk, Digital-Eingänge, Funkübertragung usw. ) realisierbar. Damit können aktive Lautsprecher zur „kompletten Hifi-All-In-One-Anlage“ werden, wodurch sich zudem neue Perspektiven für die Wohnraumgestaltung ergeben.
Und jetzt noch mit Augenzwinkern: Ja, in einigen Fällen werden sich älteren HiFi-Fans sogar an die alten Zeiten erinnert, als Radio, Plattenspieler, Verstärker und Lautsprecher in einem sehr großen Gehäuse untergebracht wurden (in einigen Fällen sogar noch ein Fernseher). In modernen Aktiv-Lautsprechern sieht’s nur wenig anders aus. Nur: aus dem Plattenspieler wurde das Handy, aus dem Radio das Netzwerk – und das alles in einer kompakten Form. Es ist „smarter“ geworden.
Musikalische Grüsse von Norbert,
der NUR seinen Ohren vertraut
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